Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht. In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis, und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz. Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint. Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird? Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist? Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte. Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht.
Juli Zehs neuer Roman erzählt von unserer unmittelbaren Gegenwart, von unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten, und er erzählt von unseren Stärken, die zum Vorschein kommen, wenn wir uns trauen, Menschen zu sein.
Leserstimmen
Meinung AbgebenDies war nicht mein erstes Buch von Juli Zeh, aber mein erstes Buch, das sich so schonungslos und ehrlich mit der Pandemie auseinandersetzt. Jedes Buch dieser Autorin setzt sich tiefgründig und vielschichtig mit dem jeweiligen Thema und Zeitabschnitt seiner Handlung auseinander und auch dieses Mal bin ich wieder restlos begeistert von diesem Feuerwerk aus Zeitgeschehen und Menschlichkeit. Da ich selbst Brandenburgerin bin und auf dem Land lebe, kann ich nur sagen - genauso siehts aus! Ein Spiegelbild unserer Zeit! Jedes einzelne Kapitel konnte ich genießen, mitlachen, mitweinen und am Ende bleibt weiterhin die Hoffnung Menschlichkeit. Ich würde nur vorschlagen, statt des wartenden Hundes auf der Landstraße als Cover wäre eine zerknüllte Zigarettenpackung passender. Es wird eindeutig zu viel geraucht in diesem Buch und ich kann es keinem weiterempfehlen, der sich gerade das Rauchen abgewöhnen möchte. Dies als Anregung mit einem dicken Augenzwinkern. Wieder ein Meisterwerk von Juli Zeh, auf dessen Verfilmung ich schon sehr hoffe.
Das Landleben in Brandenburg hat nicht so einen guten Ruf. Zu oft liest man von den Rechten, die dabei sind dort die Oberhand zu gewinnen. Doch lauert wirklich an jeder Ecke ein Rassist? Eines merkt Dora schnell. Eine verschlossene Tür bedeutet hier nicht viel. Sie müht sich auf ihrem viertausend Quadratmeter Grundstück ab. Und plötzlich muss sie sich fragen, ob sie unter die Heinzelmännchen geraten ist. Der Garten wird gerodet, ein Bett wird gebaut. Etwas beängstigend. Froh ist Dora, dass ein Nachbar die Straße runter sie nach dem Einkaufen mitnimmt. Sie beginnt zu verstehen, wieso in ländlichen Gegenden die meisten Leute ein Auto haben.
Der neue Roman beginnt mit einer Beschreibung des Lebens in der heutigen Pandemie-Zeit. Die Lektüre nimmt dabei etliche Stunden in Anspruch, weil man dasitzt und denkt: eher nicht, vielleicht oder stimmt, stimmt genau. Man ist im positiven Sinne gezwungen zu reflektieren und nicht nur über die Pandemie, sondern auch über den Umgang der Menschen untereinander. Das Bild ist trostlos und die Frage, wie man wieder zu einer zugewandten Kommunikation kommen könnte, kann nicht einfach beantwortet werden. Doch als Dora so langsam von dem Dorf und seinen Menschen auf- und eingenommen wird, wird man beim Lesen auch in die Handlung hineingesogen. In der Anonymität der Stadt kann man sich seine Freunde aussuchen. Die Nachbarn im Dorf sind einfach da und man sollte versuchen, sie zu nehmen. Wie schwierig das sein kann, merkt man an Doras Beispiel. Auch wenn das Buch die Welt nicht ändert, so wäre es doch ein guter Ansatz sich selbst zu ändern.
4,5 Sterne
Grob handelt die Geschichte von Dora, die mit ihrer Hündin auf das Land zieht. Sie flieht vor Robert und vor der Stadt.
Dabei werden Sorgen, Probleme und Gefühle zwischen Menschen aus "Provinz und Metropole", wie Juli Zeh es nennt, beleuchtet. Es geht um politische Ansichten, Liebe und auch um Corona. Dora, aus deren Sicht der Roman erzählt wird, lernt wieder was es heißt Mensch zu sein und nicht bloß in politischen und sozialen Systemen zu denken. Auf dem Land ticken die Uhren eben anders. Angefangen damit, dass Dora kein Auto besitzt, da in Berlin regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel fahren. Auf dem Land angekommen wird erst einmal das Einkaufen zur Herausforderung, da der Bus hier eben nur wenige Male am Tag fährt.
Wie im wahren Leben.
Ich freue mich schon auf weitere Romane von Juli Zeh.
Dora, 36, ziemlich erfolgreiche Werberin, will etwas Eigenes und kauft ein Haus. Ihr Haus, irgendwo im Nirgendwo. Aus komischer Vorahnung oder dem Wunsch nach einem eigenen Projekt-Projekt. Ihr Freund Robert, Alter unspezifisch, ökoesker Online-Redakteur, vergöttert Greta und alle Damen und Herren, die den 1000-prozentigen Lockdown wollen. Sofort! Schmerzhaft! Also tauscht Dora Robert, Robert Koch wie sie ihn nennt, gegen Gote aus, jedenfalls als Nachbar und Studienobjekt. Gote gehört das Flurstück nebenan, der nicht nur sinnbildlich am rechten, am ganz rechten Rand seines Grundstücks steht. Und dann? Was dann? Eine E-Mail sonntags von Susanne aus der Agentur: Liebe Dora, du weißt, wir sind fair. Wir setzen auf Zusammenhalt und Solidarität. Nun wurde leider, leider auch dein Etat eingefroren. Es tut mir leid, aber deine Zeit … Herzlich, Susanne. Corona, Lockdown, Shuttdown, flatting the curve. Bracken. Backen. Weiterbracken.
Demonstrativ befindet sich Dora in guter Nachbarschaft einer priegnitzer Dorfgemeinschaft. Einer Gegend also, wo unter Leuten viele Übermenschen zu finden sind. Juli Zeh baut erneut ein Ensemble stereotyper Persönlichkeiten im Hier und Jetzt, denen es manchmal an Liebenswürdigkeit, aber nicht weniger an Wirklichkeitsnähe mangelt. Die große Losung, den Brackener Wahlspruch, gibt Steffen aus, irgendwas um die 40, Ernst-Busch-Absolvent und Neufloristiker:
„‘Weiß du, was man hier draußen lernt? […] Es geht nicht darum, Widersprüche aufzulösen‘, sagt Steffen, ‚sondern sie auszuhalten‘“ (S. 161 f.).
„Übermenschen“ ist ein Roman für die Menschen in Berlin, über die Menschen in Berlin. 412 Seiten über Frühkartoffeln, Spätkartoffeln, Salzkartoffeln, die anders aussehen, sich anders anfühlen, anders schmecken. Alles Kartoffeln, denen Haltung wichtig ist. Wichtig für Dora wird das Trotzdem – Gliom, Blastom, Karzinom, Astrozytom, völkische Raumforderung – trotzdem.
Juli Zehs Brandenburg-2.0-Roman fragt, gibt Impulse, belichtet dunkle Ecken, schmettert Stichworte, nimmt wenig hin. „Über Menschen“ ist philosophisches Quartett und mitreißender Gegenwartsroman. Mit konstruktiver Lebensinhaltsleere sucht die Protagonistin Dora ihren Weg aus der selbstgewählten Unmündigkeit. Schwarz – weiß, schwarz – weiß. In rasanter Helmut-Krausser-Sprache gibt Zeh Menschen eine Stimme, die man im S-Bahnring nicht sehen, spüren, riechen will. Es riecht nach Corona, nach Schattierungen, nach Widerspruch, nach Aushalten. Mein Fazit: In der zurückgenommenen Thematisierung der letzten 12 Monate, ohne als Monstranz über jeden Acker gejagt zu werden, liegt eine große Stärke des Romans. Die zweite Stärkte ist Zehs kritisches Fragen, ihre Tiefenschärfe. Drittens ist „Über Menschen“ ein ausgezeichneter Unterhaltungsroman, der Aktuelles gesellschaftspolitisch inspirierend verhandelt. Nicht nur ich habe auf genau diesen Roman gewartet. Weiterbracken!
Dora, linksliberale Werberin mit Hund vom Prenzlauer Berg, zieht aufs Land, und befreundet sich, wider eigener Erwartung und allgemeinen Standpunktfragen, nicht nur mit einem schwulen AfD-Pärchen, sondern auch noch mit ihrem Dorfnazinachbarn und dessen nerviger Tochter. „Zusammen ist man weniger allein“ in Bracken, Brandenburg!
„Über Menschen“ ist ein Roman über menschlich Allzumenschliches, „Kindness“, vermeintlich unmögliche Freundschaften, über Hoffnung, kurz, über das große „Trotzdem“ in dieser absurden Welt.
Dass dies alles mit großen Sinn für Situations- Komik und leicht lesbar geschrieben ist, macht das Buch zu meinem liebsten Juli-Zeh-Buch bisher.
Es ist schon verrückt einen Roman während der Corona-Zeit zu lesen, in dem es auch stellenweise um Corona geht. Mir hat das äußerst gut gefallen, da man sich absolut in die Situation einfühlen konnte.
Darum geht’s: Dora hat genug von ihrem Leben in der Großstadt. Kurz um verlässt sie ihre Wohnung, ihren Alltag, ihren Freund um in ein kleines Häuschen in Brandenburg zu leben. Doch das Landleben ist doch völlig anders als gedacht, denn nebenan wohnt offensichtlich und ungeahnt der Dorfnazi.
Ich liebe die Romane von Juli Zeh, denn sie schafft es den Nerv der Zeit zu treffen und überrascht immer wieder mit neuen Denkweisen. Wer hier nach schwarz-weiß denken oder einem erhobenen Zeigefinger Ausschau hält, sucht vergebens. Denn der Dorf-Nazi überrascht mit seiner hilfsbereiten Art und seinem künstlerischen Geschick. Stattdessen wird das eigene bzw. das Handeln und Richten des Dorfes über andere in Frage gestellt. Das heißt nicht, dass man andere Personen für ihre Ansichten nicht kritisieren soll, sondern schauen muss, wie man nebeneinander existieren kann. An einigen Stellen ist es mir echt schwer gefallen, denn beim Hören des Horst-Wessel Liedes könnte ich nicht cool reagieren.
Dora als Protagonistin ist toll: fragend, zweifelnd, neugierig. Sie versucht ihr Leben in den Griff zu bekommen und das Landleben eigenständig zu meistern. Man kann sich wirklich toll in ihre Gedanken hineinversetzen und ihr Handeln nachvollziehen. An einigen Stellen war mir der Roman leider etwas zu glatt, was nicht unbedingt hätte sein müssen. Der Schreibstil Zehs ist super lesbar, sodass ich den Roman kaum aus den Händen legen konnte.
Ein interessanter Roman mit streitbaren Inhalt, der mich dennoch gut begeistern konnte. Ich lese Juli Zehs Romane wahnsinnig gerne, kann jedoch gut nachvollziehen, wenn Personen Teile des Inhalts zu harmlos dargestellt finden. [4/5]
Der Schreibstil war sehr eingängig und konnte mich von Anfang an überzeugen. Auch die unterschiedlichen Charaktere sind sehr differenziert und menschlich beschrieben, auch wenn sie zuvor in die Schubladen eines brandenburgischen Dorfs passen. Darüber hinaus wirft der Roman die Frage auf, ob nicht jeder Mensch nur ein Produkt der Umstände und der Sozialisation ist.
Insgesamt hat mich dieser Roman sehr zum Nachdenken angeregt und ich kann ihm jeden empfehlen, der gerne "Unterleuten" gelesen hat.
"Man kann sterben", erwidert Gote.
"Das meine ich nicht."
"Ist aber ne ziemliche Veränderung." (S. 372)
Dora hat genug; genug von Berlin, von der Enge und der Hektik, genug von ihrem Freund Robert, der sich immer mehr verändert. Da kommt es gerade recht, dass sie im vergangenen Jahr, bevor die Pandemie ausbrach und das Leben noch so war, wie man es gewohnt war, ein altes Gutshaus in Bracken, einem kleinen Dorf irgendwo in Brandenburg, gekauft hat. Kurzerhand packt sie ihr Hab und Gut und ihren Hund und zieht aufs Land. Doch ganz so idyllisch, wie sie sich das vorgestellt hatte, ist es hier wahrlich nicht und der Neuanfang gestaltet sich sehr holprig. Ihr Grundstück gleicht einer Wildnis, der nächste Supermarkt befindet sich eine Stunde entfernt und ihr Nachbar, dessen Grundstück hinter einer hohen Mauer verborgen liegt, ist der „Dorf-Nazi“. Langsam muss sie sich über ihr neues Leben in Bracken, ihren Gedanken und Vorurteilen gegenüber dem Land und seinen Leuten klar werden, ihr Leben neu ordnen und erfahren, nicht allen vorgefertigten Meinungen Glauben zu schenken. Und lernt, hinter die Fassade von Menschen zu blicken, einen zweiten Blick und eine zweite Meinung zu wagen.
In ihrem neuen Roman „Über Menschen“ zeichnet Juli Zeh ein eindrückliches Bild unserer gegenwärtigen Gesellschaft, die mit sich selbst hadert, mit ihren Schwächen und Ängsten, vor allem aber aktivistischer denn je motiviert ist. Doch sie beleuchtet auch die Stärken, Menschlichkeit und Verletzlichkeit zuzulassen, sich Fehler einzugestehen und sich Hilfe zu suchen, wenn man alleine nicht mehr weiterkommt.
Die Protagonistin Dora macht dem Klischee einer Städterin alle Ehre; völlig überfordert und unvorbereitet flüchtete sie kurz vor Beginn des ersten Lockdowns zu Beginn des Jahres mit ihrem wenigen Hab und Gut und notdürftigen Einkäufen mitten ins Nirgendwo, nämlich nach Bracken. Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht, und – wenn man den Hetzen ihres Vaters Jo, einem angesehenen Neurochirurgen, Glauben schenken mag – auch der nächste Nazi lässt nicht lange auf sich warten, wohnt er tatsächlich im Nachbarhaus.
Braucht man in Corona-Zeiten auch noch einen Roman zu diesem Thema? Erst skeptisch konnte mich Juli Zehs neuer Roman dann doch von der ersten Seite an fesseln und begeistern:
Die Protagonistin Dora flieht im Frühjahr 2020 vor dem Lockdown aus Berlin in die brandenburgische Provinz: sie braucht Ruhe, Abstand, Luft zum Atmen und möchte mich sich selbst ins Reine kommen. Doch auf dem Land ticken die Uhren anders, einige Dorfbewohner sind schwer zu durchschauen und es geschehen Dinge, die Dora nicht einordnen kann ...
Ein Gegenwartsroman wie er aktueller kaum sein kann und eine literarische Auseinandersetzung mit der Pandemie, sehr unterhaltsam zu lesen und gleichzeitig berührt er all die Fragen um eine Welt, die vollkommen durcheinander geraten zu sein scheint und in der es umso wichtiger ist `Mensch` zu sein!!
„Es geht nicht darum, wer was verdient hat. Nicht einmal darum, für oder gegen Nazis zu sein. Das Zauberwort heißt `trotzdem`. Trotzdem weitermachen, trotzdem da sein. Trotz allem liegt da drüben ein Mensch.“
Inhalt
Dora, sechsunddreißig Jahre alt, ist eine erfolgreiche Werbetexterin, als ihr im Home-Office des Corona-Lockdown nicht nur die gemeinsame Wohnung in Berlin, sondern auch das Leben mit Robert endgültig zu eng wird. Bereits im Dezember hatte sie heimlich das renovierungsbedürftige, alte Gutsverwalterhaus auf dem verwilderten Grundstück mit den großen Bäumen gekauft, in Bracken, einem kleinen Straßendorf irgendwo in Brandenburg. Jetzt, drei Monate später, ist sie emdgültig hierher übersiedelt. Mit ihrer Hündin Jochen, ohne Möbel, aber mit einem Nachbarn, der sich ihr als Gote, wie Gottfried, ich bin der Dorf-Nazi vorstellt, was zu seiner sauber geschorenen Glatze passt. Doch plötzlich liegt ihre Matratze auf einem eigens für sie angefertigten Bett und auf ihrem Lieblingsplatz auf dem Treppenabsatz vor dem Haus stehen eines Tages Küchenstühle. Hier, in diesem Dorf mit seinen Menschen verändert sich etwas in Dora, vom Nachdenken zum Umdenken.
Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Menschen, ihre Ängste, Sorgen, aber auch den Zusammenhalt in diesen herausfordernden Tagen einer modernen, aber unsicher und brüchig gewordenen Gegenwart.
Charaktere
Dora muss in Bewegung sein, um sich ruhig zu fühlen. Sie hat eine eigene Meinung zu vielen Themen unserer Zeit, doch hier in Bracken erkennt sie rasch, wie sehr sie sich irrte, als sie überzeugt davon war, man könne doch Gut und Böse ganz einfach auseinanderhalten. Denn hier lernt sie alle möglichen Zwischenschattierungen in unterschiedlichster Form kennen.
Handlung und Schreibstil
Dieser Roman spielt in der Gegenwart in einem kleinen Dorf in Brandenburg. Dora zieht sich aus ihrem Leben in Berlin zurück, um mit ihrer Hündin Jochen eine völlig andere Art Leben zu probieren, denn Home-Office geht überall. Einkaufen ohne Auto, mit einer Busverbindung mit hohem Seltenheitswert, Gärtnern mit theoretischen Anleitungen über YouTube. Dazwischen freie Zeit, auch das muss sie lernen, mit dieser freien Zeit umzugehen, die Natur in ihrer wunderbaren Vielfalt hilft ihr dabei. Doch jeder Tag bringt neue Herausforderungen und manchmal wünscht sich Dora weit weg von allem, am besten auf die Raumstation ISS, um Abstand zu gewinnen und Ruhe. Die Autorin erzählt einfühlsam, intensiv, bindet die drängenden Themen der Gegenwart mit ein, schafft unterschiedliche Figuren mit völlig unterschiedlichen Sichtweisen, beleuchtet die Standpunkte, lässt sie ruhen, nimmt sie in einem neuen Zusammenhang wieder auf. Sie lässt ihre Figuren nachdenken, umdenken und uns beim Lesen mit.
Fazit
Dies ist tatsächlich ein Roman über Menschen, ihre Ängste, Probleme, das tägliche Leben mit skurrilen, witzigen Szenen und nachdenklichen, sehr traurigen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie man miteinander umgeht, wenn die Meinungen stark auseinanderdriften. Es sind Figuren auf der Suche und man schließt jede einzelne der Figuren ins Herz, obwohl oder gerade weil jede so ihre Eigenheiten hat, authentisch, Menschen eben, und oft anders, als die anderen denken.
Sie hält es einfach nicht mehr länger auf so engem Raum mit ihrem neurotischen Freund Robert, einem Journalisten aus. Er ist ein besserwisserischer, verbissener und selbstgerechter Umwelt-Aktivist, der sich extrem mit der Coronathematik beschäftigt, sich gut damit auskennt, aber auch Angst hat und deshalb anfängt, Dora zu kontrollieren und ihr Vorschriften zu machen.
Darüber hinaus fühlt sich Dora trotz gutem Job und schöner Wohnung schon seit längerem überfordert.
Sie braucht Tapetenwechsel, hier ist alles zu eng.
Vorher in Berlin-Kreuzberg, jetzt also auf dem Land und in der Natur.
Sie will den verwilderten Garten bändigen und ein Gemüsebeet anlegen. Sie will zur Ruhe kommen.
Ähnlich wie in „Unterleuten“ treffen wir in „Über Menschen“ auf Klischees, Bewertungen und Vorurteile, auf ein ostdeutsches Provinzkaff, das nicht Schritt halten konnte, auf rechts Gesinnte und auf linksliberale Städter.
Wir lernen hier unterschiedliche Menschen mit problematischen Biographien und ein abgehängtes Dorf mit aussterbender Infrastruktur kennen. Und das alles vor dem Hintergrund der Corona-Krise, die Juli Zeh in ihrem Roman mit all ihren verschiedenen Auswirkungen differenziert aufarbeitet.
Wir lernen das schwule Paar Steffen und Tom mit dem grünen Daumen kennen sowie Heinrich, dem ständig Witze über Ausländer und die Corona-Krise einfallen.
Doras kahlrasierter Nachbar Gote, ein alleinerziehender und hilfsbereiter Rechtsradikaler mit krimineller Vergangenheit stellt sich ihr ohne Umschweife als Dorfnazi vor.
Kontakte, Bekanntschaften und Freundschaften bahnen sich an. Zugehörigkeitsgefühle und Gefühle von Zuhause und Familie stellen sich ein.
Aber es ist nicht alles einfach, klar und unkompliziert. Vieles ist widersprüchlich und absurd.
Und manches nervt, wie z. B. der Bus, auf den Dora nach dem Einkaufen drei Stunden lang warten muss, weil er nur zweimal am Tag fährt.
Die 1974 in Bonn geborene Juli Zeh ist eine präzise Beobachterin, die uns ihre Figuren sehr nahe bringt und uns Einblicke in ihr Inneres erlaubt.
Sie schreibt knapp, treffend und schnörkellos, psychologisch feinfühlig, unaufgeregt und poetisch und würzt das Ganze mit einer guten Portion Witz und Ironie.
Sie regt, ohne jemals zu bewerten oder zu moralisieren, ihre Leser zum Mit- und Nachdenken an, denn nichts ist so eindeutig und klar, wie es auf den ersten Blick scheint.
Es macht Spaß und ist interessant, in diesen lebendigen und vielschichtigen Mikrokosmos einzutauchen und einen Roman zu lesen, der die Pandemie literarisch anspruchsvoll in den Fokus stellt.
Juli Zeh ist eine der erfolgreichsten deutschen Gegenwartsautorinnen und sie hat mit „Über Menschen“ nach „Unterleuten“ - welch’ hochamüsantes Wortspiel! - einen wunderbaren hochaktuellen Roman am Puls der Zeit geschrieben.
Große Leseempfehlung!
Inhalt:
Bracken, ein kleines, fiktives Dorf irgendwo in Brandenburg, Frühjahr 2020. Die sechsunddreißigjährige Dora entflieht Berlin und damit ihrem Freund Robert, den sie immer weniger versteht. Ihr neues Heim ist kein Schmuckstück, sondern eher eine Lebensaufgabe, der sich Dora ziemlich unvorbereitet und ganz allein stellt. Und dann muss sie auch noch den Schreck verarbeiten, dass ausgerechnet ihr direkter Nachbar sich als glatzköpfiger Rechter erweist, der eine klare Ansage macht, was er von Dora und ihrer kleinen Hündin hält.
Meine Meinung:
Ich habe nun schon einige Romane von Juli Zeh gelesen und bin jedes Mal aufs Neue begeistert. So schlage ich inzwischen bei Neuerscheinungen dieser Autorin blind zu, ohne zu wissen, worauf ich mich einlasse. Ich muss zugeben, dass ich dieses Mal mit dem Anfang meine Probleme hatte. Das Thema „Corona“ nimmt hier einen großen Raum ein, bietet mir aber nichts Neues, keine neuen Informationen, keine neuen Denkanstöße. Alles was zu diesem Thema hier gesagt wird, erlebe ich Tag für Tag selbst bzw. habe ich mit Freunden und Familie zur Genüge hin und her diskutiert. In diesem Punkt hat die Realität den Roman definitiv überholt.
Doch im weiteren Verlauf konnte Juli Zeh mich auf jeden Fall wieder überzeugen. An der Seite von Dora habe ich mich in das kleine Dorf Bracken eingelebt, habe dessen bunte Bewohnerschar nach und nach kennen- und in gewisser Weise auch lieben gelernt. Juli Zeh verleiht den Figuren eine enorme Tiefe, brilliert durch präzise, detaillierte Beobachtungen, die das Kopfkino in Gang setzen. Sie erweckt die Menschen und die Landschaft zum Leben, lässt sie fast unmerklich sich verändern und entwickeln. Am Schluss kann man sich fragen, wie man eigentlich an diesen Punkt gelangt ist, wo die Ausgangslage doch eine ganz andere war. Die Antwort liegt in vielen kleinen Taten, die uns zu Menschen machen.
Der Gegensatz Berlin und Provinz in Brandenburg ist überwältigend, sämtliche Vorurteile und Klischees scheinen sich zu bestätigen, so dass es Dora zeitweise Angst wird. Doch nicht alles ist Schwarz-Weiß, Dora lernt auch das andere Gesicht des Dorfes und seiner Bewohner kennen und beginnt ihr eigenes Leben neu zu sortieren.
Wie schon bei "Unterleuten" ist auch "Über Menschen" ein treffender Titel für diesen Roman. Er handelt von allerlei skurrilen Charakteren, die einerseits bekannte Stereotypen darstellen und damit die Wirklichkeit zeichnen, wie man sich ein Leben in einem abgelegenen Dorf in Brandenburg vorstellt. Menschen, die sich von den Politikern "da oben" nicht wahrgenommen fühlen und dann auch noch durch eine Pandemie und den Lockdown verunsichert werden. Durch die linksliberale Dora, die diesen Menschen begegnet, erhält man einen Blick auf all diese Menschen und bei näherem Betrachten stellt man fest, dass es dort mehr als nur den arbeitslosen, rechtsradikalen, vorbestraften Dorf-Nazi, den resignierten AfD-Wähler oder die überforderte alleinerziehende Mutter gibt, die im Existenzminimum lebt. Es herrscht hier auch eine ungefragte Solidarität, Nachbarschaftshilfe und Zusammenhalt. Jeder kennt jeden und hilft, wo er kann. Auch Dora gelangt so unvermittelt zu neuen Möbeln, gestrichenen Wänden und einem bestellten Beet. Selbst wenn sie sich politisch korrekt lieber von diesen Menschen fernhalten möchte, fühlt sie sich doch zu ihnen hingezogen und wird ein Teil der Dorfgemeinschaft.
Das Buch beschreibt den Alltag, wie sich die Großstädterin Dora in ihrem neuen Leben in der Provinz neu einfinden muss, ist durch ihre Begegnungen mit den Menschen vor Ort jedoch äußerst unterhaltsam, erschreckend, aber auch amüsant und immer wieder verblüffend. Die Lebenswirklichkeit in dem fiktiven Ort Bracken ist überspitzt beschrieben, enthält bei aller Ironie aber auch einen wahren Kern.
Wie Dora schwankt man, ob man die Menschen verurteilen soll oder mögen darf.
"Über Menschen" ist lebensnah und abwechslungsreich geschildert, unterhält durch die facettenreichen Figuren und die hintergründigen bewegenden Schicksale, die nachdenklich machen und ganz deutlich zeigen, dass man sich nicht von Vorurteilen lenken lassen, sondern sich stets ein eigenes Bild machen sollte.
Mit „Über Menschen“ ist Zeh nah am echten Leben und vor allem nah an unserer Zeit. Dora ist eine runde Protagonistin, die manchmal einfach nur zu viel hat: Zu viel von den Medien, der Hilflosigkeit und dem Gefühl, immer tiefer in einem Strudel zu versinken. Die Botschaft des Buches: Für simple Wahrheiten ist die Welt zu komplex. Ist Baumwolle wirklich besser als Plastik? Kann man den Medien immer glauben? Und kann jemand, der verbotene Lieder singt und vorbestraft ist, ein liebevoller Vater sein? „Über Menschen“ ist geradezu ein Plädoyer gegen vorschnelle Urteile und für mehr Empathie. Allerdings hat das Buch für mich einen großen sowie einen kleineren Kritikpunkt: Zum einen lässt Zeh dieses Verständnis nicht für alle ihre Figuren aufkommen, sondern überwiegend für die Dorfbewohner*innen. Robert jedoch, der sich vehement gegen den Klimawandel einsetzt und penibel auf die Corona-Regeln achtet, verkommt zu einem nervigen Zeitgenossen, so wie eigentlich alle Figuren, die sich streng an Abstandsregeln und Co. halten. Für mich ist die Botschaft des Buches gut, ich hätte mir nur gewünscht, dass sie im Buch selbst konsequenter umgesetzt wird. Zweitens bleiben manche Figuren eher holzschnittartig. So ist Doras Nachbar Heini eigentlich nur dafür da, rassistische Witze zu reißen und Dora dadurch mit ihrer Lähmung gegenüber Rassismus zu konfrontieren. Meiner Meinung nach kommt „Über Menschen“ nicht an „Unterleuten“ ran, das im selben Kosmos spielt und dessen Figuren ausgefeilter gewirkt haben. Beschäftigen wird mich dieser Roman dennoch für längere Zeit.
„Über Menschen“. Bereits der Titel schafft die Verbindung zu dem Vorgänger, ist aber intimer, enger gefasst, da die Erzählperspektive sich ausschließlich auf Dora konzentriert. Stellt sich die Frage nach den Assoziationen. Was erwarten wir, wenn wir Dorf und Brandenburg hören? Richtig, AfD, Rechtsradikale, Nazis. Ein anderer Kosmos, Kulturschock, schwieriges Terrain für Dora aus Berlin. Wenn der Nachbar sich als Dorf-Nazi vorstellt, lässt Zeh sämtliche Klischees aus dem Sack. Aber Abgrenzung gilt nicht, Schwarz-Weiß-Denken hat hier keinen Platz, man ist mittendrin, ist weder Über- noch Unter- sondern einfach nur Mensch. Und deshalb verwundert es auch nicht, dass sich in den Beziehungen zu den Dorfbewohnern die Kategorien allmählich auflösen, die Schubladen an Bedeutung verlieren. Politische Weltanschauung wird von Alltagspragmatismus abgelöst, und wenn Hilfe benötigt wird, müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden.
Nun könnte man argumentieren, dass auch das klischeehaft ist, was natürlich stellenweise auch zutrifft. Aber Zeh belässt es nicht bei den Bullerbü-Schilderungen des Dorflebens, sondern thematisiert auch die Probleme, die sich daraus ergeben. Stadt-Land-Gefälle, abgehängt, vergessen von der Politik, weder Arbeitsplätze noch öffentliche Verkehrsmittel, aber auch die persönlichen Belastungen, die die Pandemie mit sich bringt. Und so schreibt sie nicht nur „Über Menschen“ sondern auch „Über Leben“.
Dass ich Juli Zeh mag, hat mehrere Gründe. Der Hauptgrund ist wahrscheinlich: Man weiß immer von der ersten Seite an, dass etwas Krasses passieren wird. Selbst hinter der ausführlichsten Rückblende lauert die Story, hält das Hirn in Alarmbereitschaft und lässt in Bezug auf den Ausgang absolut keine Gewissheiten aufkommen. So auch in Über Menschen.
Worum geht’s?
Deutschland im Frühling 2020. Werbetexterin Dora hat es mit ihrem Freund Robert in der gemeinsamen Berliner Wohnung nicht mehr ausgehalten. Schon vor einigen Monaten hat sie sich still und heimlich in der brandenburgischen Provinz ein altes Gutsverwalterhaus mit riesigem Grundstück gekauft. Als aus dem fanatischen Klimaschützer Robert auch noch ein ebenso fanatischer „Corona-Polizist“ geworden ist, hat sie ihre sieben Sachen und ihre Hündin Jochen [sic! :-D] zusammengepackt und ist umgezogen.
Allerdings will sich auch in der ländlichen Idylle des fiktiven Dörfchens Bracken keine Entspannung einstellen. Das hat nicht zuletzt mit Doras neuem Nachbarn Gottfried Proksch zu tun, der sich ihr mit den Worten „Ich bin hier der Dorf-Nazi“ vorstellt. Was genau sich zwischen den beiden entwickelt, sollten Interessierte unbedingt selbst lesen, aber so viel sei schon mal verraten: Eine romantische „Boy meets Girl“-Geschichte ist es nicht.
Stilistisches et cetera
In sprachlicher Hinsicht bleibt Zeh dem Stil ihrer letzten Werke treu: Der Ausdruck ist klar, jedes Wort sitzt am rechten Platz, keine Unebenheit stört den Lesefluss. Ich war wieder sofort mitten im Geschehen und konnte nur staunen, wie schnell mir die ungelesenen Seiten dünn wurden.
Sprachbilder werden sorgfältig dosiert; häufig sind sie in Naturbeschreibungen anzutreffen:
In schrägen Balken lehnt das Licht an den Kiefern; ein Greifvogel segelt lautlos zwischen den Stämmen. Es raunt und wispert. Zauberwesen.
(S. 165)
In vollen Zügen genossen habe ich Dialoge wie diesen:
»Gote«, sagt der Nachbar.
Irritiert schaut Dora zur Straße, ob sich irgendetwas nähert, das diese Bezeichnung verdient.
»Gote«, wiederholt der Nachbar nachdrücklich, als wäre Dora schwerhörig oder jedenfalls schwer von Begriff. (…)
»Westgote oder Ostgote?«, fragt Dora.
»Gote«, sagt er noch einmal. »Wie Gottfried.«
Ein bisschen fühlt sich das an wie die Kommunikation zwischen Robinson und Freitag, nur ohne zu wissen, wer Robinson und wer Freitag ist. Auch Dora hebt einen Zeigefinger und deutet auf sich selbst.
»Dora«, sagt sie. »Wie Dorf-Randlage.«
(S. 44)
Dora ist als Figur überhaupt ausgesprochen gut gelungen. Ihr Humor, ihr beständiges nervöses Reflektieren, ihr Streben nach Autonomie, ihre Zerrissenheit, ihre Sehnsucht nach Spiritualität, ihr Abscheu gegen Rechtsextremismus, ihre Suche nach Wahrheiten und die plötzliche Klarheit, mit der sie manche Dinge sieht – all das wird sehr glaubwürdig vermittelt, sodass es leichtfällt, sich mit ihr zu identifizieren. In vielem, was Zeh sie über Politik, die Gesellschaft und das Leben denken lässt, kann ich ihr nur zustimmen.
Warum noch toll?
So harmonisch und locker sich die Wörter und Sätze ineinanderfügen, so herausfordernd ist ihr Inhalt – auch bei diesem Prinzip bleibt sich die Autorin treu. Ohne Scheuklappen wird herausgearbeitet, wie kompliziert die Welt ist und wie schwer sich vor allem definieren lässt, wie man denn nun eigentlich „richtig“ handelt. Letztlich erweist sich die Menschlichkeit als Antwort auf viele Fragen. Eine der Schlüsselstellen für mich: Doras Erkenntnis, dass die Aussage „Ich bin besser als du“ die Wurzel allen Übels darstellt. Und zwar auch dann, wenn eine Linksliberale sie an einen Nazi richtet.
Doch noch ein Kritikpunkt …
Im Roman tauchen so ziemlich alle Aspekte und Begriffe auf, die im Zusammenhang mit Corona durch die Medien gegangen sind. Zwischendurch kam mir das etwas angestrengt vor, so als wäre beim Schreiben eine Art Checkliste abgehakt worden, um wirklich eine vollständige Chronik zu produzieren. Besonders die alleinerziehende und entsprechend erschöpfte Mutter Sadie wirkte auf mich wie einem Porträt auf Spiegel online entsprungen; hier hätte ich mir mehr Juli-Zeh-typischen Einfallsreichtum gewünscht. Aber vielleicht ist in dieser Hinsicht nur die zeitliche Nähe das Problem. Mit ein paar Jahren Abstand wird man vermutlich ein Schlagwort wie „Notbetreuung“ lesen und denken: „Ach ja, so war das damals! Gut, dass das jemand aufgeschrieben hat.“
Wem gefällt’s?
Allen, die es interessiert, wie zeitgenössische Literaturschaffende aktuelle Probleme künstlerisch verarbeiten. Juli-Zeh-Fans werden Über Menschen sowieso kennenlernen wollen. Wer unsere Corona-Gegenwart im Moment als große Belastung empfindet, sollte aber besser noch etwas mit der Lektüre warten – und das Buch eines Tages als echten Rückblick lesen.
[Vielen Dank an Penguin Random House für das Rezensionsexemplar!]
Ein wirklicher Genuss, von der ersten bis zur letzten Seite.
Dora zieht von Berlin in ein kleines Dorf in Brandenburg. Hier scheint die Welt noch in Ordnung. Doch nur, wenn man die Oberfläche betrachtet. Während sie sich einrichtet, kommt sie mit ihrem Nachbarn in Kontakt, dem „Dorf-Nazi“. Gote greift ihr unter die Arme und Dora merkt: wir alle sind nur Menschen.
Die Bücher von Juli Zeh sind nicht einfach nur Romane. Es sind Welten, die sich eröffnen. Und wieder die Frage: was macht uns zu den Menschen, die wir sind, bzw. der Antwort: die wenigsten Menschen wollen etwas Böses.
Auch die in dem kleinen Dorf in Brandenburg nicht. Und doch gibt es dort Personen, die anders sind, in keine Schablone passen, die AfD wählen oder Nazis sind. Doch als Dora diese Leute näher kennenlernt stellt sie fest, dass niemand besser oder schlechter ist als andere. Jeder geht seinen Weg, oft erzeugt durch seine Umgebung und die Umstände.
Zehs Charaktere sind voller Leben, egal ob Protagonist oder Nebenfigur, alle wirken authentisch. Neben Dora und Gote hat mir auch Franzi sehr gut gefallen und auch die Schilderungen des Dorfes wirkten lebensnah und greifbar.
Fazit: Juli Zehs Schreibweise hat mich wieder umgehauen und mitgerissen.
Während Dora mit den verwirrenden, widersprüchlichen Gedanken in ihrem Kopf kämpft und sich zu Robert Gerst ins All träumt, geschieht immer wieder Überraschendes. Je mehr Dora sich auf das Leben einlässt, das sie vorfindet, desto mehr erfährt sie Mitmenschlichkeit jenseits aller Raster.
Dieser hochaktuelle, anregende Roman handelt von der Sehnsucht nach Sicherheiten und der Erfahrung, dass es keine einfachen Antworten gibt. Die menschliche Existenz ist zu komplex für Kategorisierungen, und letzten Endes kommt es darauf an, einander Nächster zu sein. Die Geschichte liest sich flüssig und spannend, es gibt viel Situationskomik, bemerkenswerte Charaktere, geistreiche Beobachtungen und Formulierungen, witzige Dialoge, auch sehr berührende, traurige Momente.
Ein wunderbares Buch, das ich fast in einem Zug gelesen habe, weil es mich so sehr gepackt hat. Absolut empfehlenswert!
Auf dem Land erhofft sich Dora Ruhe und Abstand, merkt aber schnell, dass es alles andere als idyllisch ist in ihrem neuen Wohnort.
Die Nachbarn entpuppen sich als rechtsgerichtet und entsprechen allen Vorurteilen. Und doch fühlt sich Dora zu diesen Menschen, die ihr auf ganz eigene Art Hilfe, Geborgenheit und Nähe geben, hingezogen.
Juli Zeh, die für ihr Werk bereits vielfach ausgezeichnet wurde, hat mit "Über Menschen" wieder einen wuchtigen Roman geschrieben, der einen sofort packt. Sie schafft es, dass man hin- und hergerissen ist zwischen Abneigung und Sympathie, was die Menschen in der Geschichte betrifft. Menschen, von denen man sich im wirklichen Leben ganz klar distanzieren würde.
Die Geschichte ist sehr berührend und bewegend, aber durchaus auch gespickt mit Witz und Ironie. Und je näher man zum Ende des Buches kommt, desto mehr wünscht man sich, dass es nie enden möge.
Eine großartige Lektüre, die lange nachklingt und einen sehr nachdenklich zurücklässt.
Absolut empfehlenswert!
Das Buch ist im Luchterhand Verlag erschienen und hat 416 Seiten.
https://www.penguinrandomhouse.de/Über-Menschen/Juli-Zeh/